Europa und der Euro

Jean-Claude Juncker, der derzeitige Präsident der Europäischen Kommission, war von 1989 bis 2009 Finanzminister und von 1995 bis 2013 Premierminister Luxemburgs. In all diesen Jahren hat er nichts dafür getan, damit die unterschiedlichen Steuersätze in Europa angeglichen werden. Im Gegenteil: Luxemburg profitierte und profitiert davon, daß Firmen ihre europäischen Geschäfte dort bündeln können und nur vergleichsweise niedrige Steuersätze zahlen müssen. Eine Steuerpolitik, die die europäische Integration befördert, wäre eine andere Steuerpolitik, weshalb es allein schon angebracht ist, der unlängst von Juncker erhobenen Forderung mit Vorsicht zu begegnen, den Euro als Währung in allen Mitgliedsstaaten der Europäischen Union einzuführen.

 

Natürlich wäre eine gesamteuropäische Einheitswährung ungemein praktisch. Man bräuchte bei Reisen in diesem Währungsraum nirgends mehr Geld umtauschen oder schwankende Wechselkurse bei grenzüberschreitenden Geschäften berücksichtigen. Der Vorzug bringt aber zugleich einen Nachteil mit sich, der wirtschaftspolitisch schwerwiegende Folgen hat: Regionen mit einer geringen Produktivität können ihre Währung nicht mehr kompensatorisch abwerten und dadurch ihre internationale Wettbewerbsfähigkeit erhalten, während gleichzeitig der Wettbewerbsdruck in Regionen mit hoher Produktivität sinkt, denn dort müßte man die Währung eigentlich kompensatorisch aufwerten. Die Folgen sieht man seit viel zu vielen Jahren in den sogenannten Südländern der Europäischen Union (Portugal, Spanien, Italien, Griechenland): Die Arbeitslosigkeit insbesondere von Jugendlichen ist und bleibt dort exorbitant hoch. Gleichzeitig fährt ein Land wie die Deutschland Jahr um Jahr Export- und Leistungsbilanzüberschüsse ein, die zwar zu einem großen Teil nur kreditfinanziert sind und daher lediglich die Salden im sogenannten Target-System (Trans-European Automated Real- Time Gross Settlement Express Transfer System) zugunsten Deutschlands anschwellen lassen, aber natürlich Forderungen bleiben und für internationalen Unmut sorgen.

 

Die geschilderten Zusammenhänge sind nicht übermäßig komplex, aber im alltäglichen Zahlungsverkehr für die meisten Menschen nicht sicht- oder spürbar. "Die Lage wird dadurch so kompliziert“, bemerkte Bertolt Brecht zu einer Zeit, als eine Währung wie der Euro völlig undenkbar war (1931 nämlich), „daß weniger denn je eine einfache ‚Wiedergabe der Realität‘ etwas über die Realität aussagt. Eine Photographie der Krupp-Werke oder der AEG ergibt beinahe nichts über diese Institute. Die eigentliche Realität ist in die Funktionale gerutscht.“ So kann man auch arbeitslose griechische Jugendliche photographieren, aber die Photos verraten nichts über die Gründe für ihre soziale Lage. Und einer dieser Gründe ist der Euro.

 

Populistisch wäre es, mit Photos oder Homestories von Menschen politisches Kapital für sich schlagen zu wollen, die infolge der europäischen Einheitswährung im ökonomischen Abseits stehen. Das ist aber von Beginn an nicht das charakteristische Merkmal an der Kritik von Kritikern des Euro gewesen, die im übrigen auch ganz unterschiedlicher politischer Couleur sind: Oskar Lafontaine und Sahra Wagenknecht von der Partei DIE LINKE gehören zu ihren, der FDP-Politiker Frank Scheffler, der CDU-Politiker Wolfgang Bosbach, der CSU-Politiker Peter Gauweiler, die Europaabgeordneten der Kleinstpartei LKR und – last but not least – Politiker der AfD. Bis heute wird aber die Kritik am Euro als hinterwäldlerisch, nationalistisch-borniert und populistisch denunziert. Das ist sie aber, selbst wenn man sie für falsch halten mag, nicht, auch dann nicht, wenn sie hinterwäldlerische, nationalistisch-bornierte Populisten teilen (sofern diese sie überhaupt verstehen).

 

 

 

Für die Kritik der Kritiker der Eurokritiker ist bezeichnend, daß sie diskreditieren, aber nicht argumentieren. Bis heute habe ich von keinem einzigen Befürworter des Euro gehört oder gelesen, was an der finanztechnischen Kritik der Eurokritiker nicht stimmt. Im Gegenzug werden nur Visionen entworfen und Gefahren beschworen, die den Visionen drohen, wenn man die geschilderte Wirklichkeit akzeptieren würde.