Macrons Vorschläge: Symptombehandlung statt Ursachentherapie

Er sei ein „Glücksfall“, sagte der FDP-Chef Christian Lindner unlängst über den französischen Staatspräsidenten Emmanuel Macron. Und tatsächlich ist Macrons vorauseilende Bereitschaft, auf einige nationale Souveränitätsrechte zugunsten Europas verzichten zu wollen, in der französischen Europapolitik etwas, was es so bislang in Frankreich noch nicht gab. Das hat natürlich Grenzen, denn die Verfügungsgewalt über die französischen Atomwaffen wird er keineswegs an die EU übertragen. Da er aber immerhin bis zur Verkrustung eingefahrene politische Wege verläßt, ist der erste Reflex, Macron unterstützen zu wollen, nur zu verständlich. Man liefe sonst schließlich auch Gefahr, es 2022, nach den nächsten Präsidentschaftswahlen in Frankreich, mit Marine le Pen zu tun zu bekommen.

 

Reflexartige zustande gekommene Sympathie ersetzt indes kein Nachdenken. Bei näherem Hinsehen müßte deshalb zunächst einmal in den Blick genommen werden, was die Hauptschwierigkeiten in Europa sind, um dann überlegen zu können, ob die von Macron vorgeschlagenen Vorschläge wirklich sinnvoll sind. Finanz- und wirtschaftspolitisch sind es zwei allen voran zwei Probleme, die die Lage seit längerem so angespannt sein lassen wie sie ist.

 

Das erste Problem ist die hohe Staatsverschuldung insbesondere in den sogenannten Südländern, der die Europäische Zentralbank seit einiger Zeit durch eine Niedrig- bzw. Null- bzw. Negativzinspolitik begegnet. In Kombination mit einem exorbitanten Programm von Staatsanleihen gestattet sie es, fällige Staatskredite mit niedrigsten Zinssätzen und sehr langen Laufzeiten so zu prolongieren, daß die meisten von uns ihre neuerliche Fälligkeit wahrscheinlich gar nicht mehr erleben werden. Darunter leiden wegen der mangelnden Kapitalerträge aber nicht nur Sparer, Stiftungen und Versicherer, die Altersversorgungskonzepte anbieten, sondern es ist längst auch eine Aktien- und Immobilienblase entstanden. Die Folge davon sind dreierlei Umverteilungseffekte: vom Norden in den Süden, von Jungen zu Alten und von Armen zu Reichen. Vom Norden in den Süden deshalb, weil langfristig mit niedrigem Zinssatz prolongierte Staatsschulden der Südländer durch Inflation minimiert werden; von Armen zu Reichen, weil Normalverdiener aus eigener Kraft gar nicht mehr in der Lage sind, Immobilien zu erwerben; von Jungen zu Alten, weil die Jungen jetzt für eine Altersversorgung Beiträge zahlen, die ihnen selbst im Alter nicht mehr in gleichem Umfang gewährt werden kann.

 

Das zweite Problem ist die Einheitswährung Euro in einem Wirtschaftsraum, der in vielerlei Hinsicht völlig inhomogen ist. So sind die Steuersätze in Europa so wenig einheitlich wie die Sozialversicherungssysteme. Die EU bemüht sich zwar standhaft um europäische Harmonisierungen, aber sie schafft das nur auf dem Verordnungsweg bei der Normierung von Pizzen, Glühbirnen, Staubsaugern usw., bei Steuersätzen und Sozialversicherungssystemen schafft sie es aber nicht. Hinzu kommt die höchst unterschiedliche wirtschaftliche Leistungsfähigkeit der Länder im Euroraum, die bei einer Einheitswährung nicht mehr durch Auf- oder Abwertung der Wechselkurse ausgeglichen werden kann.

 

Beide Probleme lassen sich nicht dadurch lösen, daß man, wie Macron es vorschlägt, ein europäisches Finanzministerium mit einem Budget von mehreren hundert Milliarden Euro errichtet. Natürlich könnte ein europäischer Finanzminister durch Umverteilung die Staatsschuldenkrise in den Südländern lindern. Aber eben nur lindern, nicht ihre Ursachen beseitigen. Die wirtschaftliche Leistungsfähigkeit und internationale Wettbewerbsfähigkeit beförderte er durch solche Maßnahmen ebenfalls nicht. Auch Konjunkturprogramme, für die ein EU-Finanzministers Geld bereitstellen könnte, wären nur eine Symptombehandlung und keine Ursachentherapie. Selbst ein bis zur Besinnungslosigkeit leidenschaftlicher Keynesianer müßte einräumen, daß es sich nicht um zyklischen Probleme handelt, die zu beheben sind. Aber nur gegen sie empfiehlt Keynes staatliche Konjunkturprogramme.

 

Macrons Vorschläge klingen also hübsch europäisch, aber ihre Realisierung wird nichts helfen. Lindner und auch Merkel haben schon angedeutet, seinen Weg nicht mitgehen zu wollen. Man kann nur hoffen, daß es dabei bleibt.