Strategischer Imperativ

Herfried Münklers neues Buch ist auch ein Buch über die Gegenwart, obwohl der Titel doch unmißverständlich annonciert, es handele vom Dreißigjährigen Krieg. Münklers Interesse an diesem historischen Gegenstand ist aber keines, das man mit Nietzsche antiquarisch nennen könnte. Er sieht vielmehr strukturelle Ähnlichkeiten mit Kriegen, die derzeit geführt werden, allen voran mit dem Kriegszenario im Nahen Osten. Er erkennt darüber hinaus, daß rechtliche oder moralische Imperative angesichts des strategischen Handelns der Beteiligten im Dreißigjährigen Krieg nicht erfolgreich waren. Das politische Denken ist heute jedoch zumindest bei uns völlig von rechtlichen und moralischen Imperativen bestimmt. Es ist offenkundig ein Anliegen Münklers, daran etwas zu ändern, und man merkt wieder einmal, daß er nicht nur über Machiavelli promoviert und Carl Schmitt gelesen, sondern ‒ frei von jeder apologetischen Tendenz ‒ auch keine Scheu hat, ihre Überlegungen vorurteilsfrei zu nutzen, wenn sie zu einem besseren Verständnis des in Rede stehenden Sachverhalts verhelfen.

 

In den gegenwärtigen Kriegen im Vorderen Orient (in Syrien, Jemen, Syrien und im Nordirak) und den Kriegen in Afrika (in Somalia, dem Sudan, in Nigeria und Mali) seien, so Münkler, „Religions- und Bürgerkrieg, Staaten- und Hegemonialkrieg, ›kleiner Krieg‹ [i.e. Partisanenkrieg] und ›großer Krieg‹ ineinander verwoben“. Das mache sie genauso unübersichtlich wie wechselnde Bündniskonstellationen und Feindschaften. Zu den Strukturanalogien gehörten des weiteren Interventionen auswärtiger Mächte, das Auftreten von Kämpfern, die nicht unter der Direktive von Staaten agieren, sondern von Warlords angeführt werden, sowie Flüchtlingsbewegungen. Das alles mache die militärische und politische Lage ungeheuer komplex und die Auswirkungen von Handlungen und Unterlassungen für die Beteiligten schwer prognostizierbar. Was das konkret heißt, zeigt Münkler am Beispiel des Dreißigjährigen Kriegs auf sehr beeindruckende Weise, und die Länge seiner Darstellung ist dabei nicht nur der Länge dieses Kriegs geschuldet, sondern eben auch der verwickelten und in ständigem Wandel befindlichen Gemengelage.

 

Herfried Münkler: Der Dreissigjährige Krieg. Europäische Katastrophe, deutsches Trauma 1618-1848. Berlin: Rowohlt 2017. 975 Seiten. 39,95 Euro.