Kurz vor Weihnachten …

… passierte, was ich seit einiger Zeit befürchtete und kommen sah: die erste Aufforderung (eines übrigens sehr netten Kollegen aus Frankfurt), einen Pressetext in „politisch korrektem Deutsch“ mitzuverantworten. „Politisch korrekt“ meinte in diesem Fall, nicht statt „Schriftsteller, Lektoren, Theaterleiter und Regisseure“ „Schriftstellerinnen und Schriftsteller, Lektorinnen und Lektoren, Theaterleiterinnen und Theaterleiter sowie Regisseurinnen und Regisseure“ zu schreiben, auch nicht „SchriftstellerInnen, LektorInnen, TheaterleiterInnen und RegisseurInnen“, sondern „Schriftsteller*innen, Lektoren*innen, Theaterleiter*innen und Regisseur*innen“. Nun weigere ich mich schon seit Jahren, immer dann, wenn es nicht unbedingt sein muß, die widersinnigen staatlich verordneten Regeln der „neuen Rechtschreibung“ anzuwenden, und daher regte sich angesichts dieses neuerlichen Sprachreformeifers bei mir nicht nur sofort Widerspruch gegen das mir unterbreitete Ansinnen, ich wehrte mich auch sofort dagegen. Dabei stellte sich schnell heraus, was ich im noch laufenden Jahr häufiger feststellen mußte: Der Sinn des Gender-Asterisken wird selbst von denen nicht immer verstanden, die ihn (oft inkonsequent) verwenden. Das traf auch auf meinen (ich wiederhole gern: sehr netten) Kollegen aus Frankfurt zu, der nämlich davon sprach, er würde ziemlich viel Ärger bekommen (unter anderem aus dem Bundesfamilienministerium), wenn er im Namen seines Arbeitgebers einen Text in die Welt schickte, in dem Frauen sprachlich nicht berücksichtigt seien.

 

Aber, wandte ich ein, dazu dient der Gender-Astersik doch gar nicht. Völlig verdutzt und ungläubig war der immer noch sehr nette Kollege, als ich ihm das und darüber hinaus sagte, in der Formulierung „Schriftsteller, Lektoren, Theaterleiter und Regisseure“ kämen Frauen sehr wohl sprachlich zu ihrem Recht. Ich beschloß daher, ihm mal wenigstens in groben Zügen zu erklären, was in der Linguistik dazu gesagt wird und was es mit dem Gender-Astersiken auf sich hat, nämlich dies:

 

1. Die historisch-systematische Linguistik lehrt, daß das grammatische und das natürliche Geschlecht im Deutschen sehr wenig miteinander zu tun haben. Mein Gewährsmann in solchen Fragen ist und bleibt der Berliner Sprachwissenschaftler Peter Eisenberg. Der erklärt:

 

„Wortbildungslehren beschreiben das Ergebnis der Ableitung von Substantiven mit dem Suffix ‚er’ aus Verben (Bäcker aus backen) als ‚Person, die die vom Verb bezeichnete Tätigkeit ausübt.’ Von Männern ist beim Nomen Agentis nicht die Rede. Bäcker als Maskulinum bezeichnet ebenso wenig ausschließlich Männer wie Person als Femininum ausschließlich Frauen bezeichnet. So ist das im Deutschen. Es gibt hier ein Wort, das ausschließlich Frauen bezeichnet (Bäckerin), aber keins, das ausschließlich Männer bezeichnet. […]

 

Das Genus in den indoeuropäischen Sprachen ist entstanden durch Zweiteilung in Bezeichnungen für Belebtes (später Maskulinum) und Unbelebtes (später Neutrum). Das Femininum kam als drittes Genus hinzu und spezialisierte sich auf Kollektiva und Abstrakta. Mit dem natürlichen Geschlecht weiblich hatte es nichts zu tun, und dabei ist es bis heute im Wesentlichen geblieben.“ (www.sueddeutsche.de/kultur/essay-das-missbrauchte-geschlecht-1.3402438)

 

2. Bei empirischen Untersuchungen, auf die meine Mainzer Kollegin Damaris Nübling nicht müde wird hinzuweisen, zeigt sich indes, daß Menschen grammatisch maskulinen Formen mit Männern, und zwar ausschließlich mit Männern, assoziieren. Damit das nicht mehr passiert, sollen seit ein paar Jahrzehnten den männlichen weibliche Formen beigesellt werden, zum Beispiel, in dem man von „Bäckern und Bäckerinnen“ spricht oder „BäckerInnen“ schreibt. Entsprechende Regeln für den Umgang mit Feminina gibt es bislang nicht (von wegen geschlechtergerechte Sprache!).

 

3. Seit einiger Zeit gilt die Unterteilung in Maskulina, Feminina und Neutra in manchen Kreisen ebenfalls als „diskriminierend“, weil sie Menschen ohne eindeutige Geschlechtsmerkmale (ca. 1 Prozent der Bevölkerung) oder „Demiboys“ und „Demigirls“ (das sind Personen, die sich teilweise als Mann/Junge oder Frau/Mädchen identifizieren, egal welches Geschlecht bei der Geburt festgestellt wurde) oder andere Personen „fließenden Geschlechts“ (Genderfluid) keinen sprachlichen Ausdruck verleihe. Diesen Personenkreis soll der Gender-Astersik repräsentieren, wobei das Problem ausgespart bleibt, daß ein einziges Zeichen für sehr verschiedene Vorstellungen von geschlechtlicher Identität eigentlich auch nicht richtig gerecht ist (Facebook unterscheidet z.Zt. 60 verschiedene Geschlechtsidentitäten).

 

4. Wählt man als Ausgangspunkt der Argumentation indes die Überlegungen von Judith Butler in ihrem Buch „Gender Troubles“ (dt.: „Das Unbehagen der Geschlechter“), dann ist jede Unterscheidung von Geschlechtern eine diskriminierende Praxis, weil sie auf einer rein sozialen Konstruktion von Geschlechtsdifferenz basiere. Dieser Vorstellung würde man also nur dann Rechnung tragen, wenn man auf jede Geschlechtsbezeichnung verzichtet. Wie das gehen könnte, lehrt zum Bespiel „Prof.ecs Dr.ecs“ Lann Hornscheidt , der weder als Mann noch als Frau zu leben beansprucht und dafür entsprechende Sprachformen entwickelt hat (www.lannhornscheidt.com).

 

Um noch einmal auf Peter Eisenberg zurückzukommen: Er begrüßt durchaus die sprachliche Sichtbarmachung von Frauen, auch wenn dadurch – systematisch gesehen – Frauen in Wendungen wie „Bäckerinnen und Bäcker“ doppelt vorkommen, es also – streng genommen – ungerecht zugeht. Da mir an der Fortexistenz von Frauen etwas liegt, kann ich mich dem Eisenbergschen laissez faire in dieser Frage anschließen und habe mich mit meinem Frankfurter Kollegen auf diese Verfahrensweise auch geeinigt. (Man kann das übrigens bei einer Erwähnung von sehr vielen verschiedenen Berufsgruppen nicht konsequent machen, denn dann wird die Sache albern.) Gegen jeden weitergehenden Sprachreformeifer, über den sich Peter Eisenberg unlängst hier (www.faz.net/aktuell/feuilleton/debatten/wort-des-jahres-fluechtling-hier-endet-das-gendern-13967817.html) lesenswert geäußert hat, gibt es gute Gründe, sich zu wehren.

 

Solcher Widerstand wird freilich zunehmend schwieriger, denn Beschäftigte in steuermittelfinanzierten Einrichtungen werden inzwischen Handreichungen zur gendergerechten Sprache ausgehändigt, deren Anweisungen nicht zu befolgen jemanden zumindest sozial ausgrenzt. Schon dieser letzte Satz, entnehme ich übrigens einer solchen, acht Seiten umfassenden Handreichung der Bundesvereinigung Kulturelle Kinder- und Jugendbildung (BKJ), die leider nicht im Internet verbreitet wird, sondern nur als pdf-Datei, schon mein letzter Satz, will ich sagen, entspricht nicht den in dieser Handreichung proklamierten Gendersprachnormen: „Bestimmte Pronomen“, wird da nämlich erklärt, „sollten allerdings ganz vermieden werden, da sie nicht gendersensibel sind. Das betrifft z. B: jemand, niemand, wer (als Pronomen und als Fragewort: Wer zuletzt lacht, lacht am besten/ Wer hat Zeit?).“

 

Auf so was muß man erst einmal kommen. Und, ganz klar: Kafkas kurzer und sehr lustiger Prosatext „Der Ausflug ins Gebirge“, in dem das genderfeindliche Indefinitpronomen „niemand“ nicht nur einmal vorkommt (www.textlog.de/3879.html), darf im Unterricht an deutschen Schulen und Hochschulen in Zukunft natürlich auf keinen Fall mehr thematisiert werden.