Albrecht Glaser, die AfD und die Religionsfreiheit

Herfried Münkler widmet in seinem sehr lesenswerten Wälzer über den Dreißigjährigen Krieg einen Abschnitt des ersten Kapitels dem Streit zwischen den hessischen Landgrafen um das Marburger Land. Den Streit gab es zunächst deshalb, weil sich nach dem Tod Ludwigs von Hessen-Marburg im Jahr 1604 die Erben aus Hessen-Kassel und Hessen-Darmstadt nicht über die Modalitäten bei der Teilung des Erbes einigen konnten. Der Streit hatte bald auch eine religiöse oder sagen wir: religionspolitische Dimension, weil man im calvinistischen Hessen-Kassel, anders als im lutheranischen Hessen-Darmstadt, das Abendmahl nicht durch Reichung der Hostie, sondern durch Brechung des Brotes spendete. Die Auseinandersetzung über solche heutzutage völlig lächerlich anmutenden Fragen wurde auch militärisch geführt und endete erst mit dem Westfälischen Frieden im Jahr 1648, in dem auch eine eingeschränkte Religionsfreiheit beschlossen wurde. Bis zur Durchsetzung der allgemeinen Religionsfreiheit in den meisten deutschen Ländern sollte es indes noch weitere 200 Jahre dauern.

 

Die heute in Art. 4 des Grundgesetzes garantierte Religionsfreiheit hat, will ich damit sagen, eine sehr lange, teilweise auch kuriose und leider auch blutige Vorgeschichte, die man bedenken sollte, wenn man sie -- wie Albrecht Glaser von der AfD -- wieder abschaffen will. Bei seiner Behauptung, der Islam sei ja gar keine Religion, sondern eine Ideologie, handelt es sich natürlich um den Taschenspielertrick eines ungeheuer kleinkarierten Juristen, der Glaser ist, weshalb er sogar in Satzungsfragen „eine gewisse Erotik“ zu erkennen vermag. Doch schon der Gedanke, es gäbe "den Islam", der von Sunniten, Schiiten und Aleviten insgesamt und ausnahmslos als politischer Islam praktiziert werde, ist etwa so schlau wie es die Leugnung eines Unterschieds zwischen Calvinisten, Lutheranern und Katholiken wäre. Ideologisch (gemeint wohl nicht im Marxschen Sinne, sondern verstanden als „eine Weltanschauung formulierend“) ist „der Islam“ ansonsten genauso wie das Christentum, und entscheidend ist allein, wie eine solche Religion praktiziert wird.

 

Im übrigen leben etwa fünf Millionen Muslime unter anderem deshalb in Deutschland, weil viele von ihnen von den 1960er Jahren an nach Deutschland eingeladen wurden, um hier zu arbeiten. Das war vielleicht keine gute Idee, wie zum Beispiel der ehemalige Bundeskanzler Helmut Schmidt im nachhinein meinte, aber eine Idee der deutschen Wirtschaft, die von der deutschen Politik realisiert wurde und mit deren Folgen wir nun eben leben müssen, aus deren Folgen man freilich auch Lehren für die Zukunft ziehen kann. Wir könnten etwa Zuwanderung künftig an Bedingungen knüpfen, die eine Integration der Zuwanderer mit großer Wahrscheinlichkeit sicherstellen. Wer aber wie Glaser allen Muslimen, auch denen, die wir mal nach Deutschland eingeladen haben und die zu keinem geringen Teil inzwischen einen deutschen Paß besitzen, also Deutsche sind, ihr Recht nach Art. 4 des Grundgesetzes nehmen will, der will Unfrieden säen.

 

Daß Glaser, der ein pfauenhaft eitler Schwätzer ist, heute nicht zum Bundestagsvizepräsidenten gewählt wurde, weil er besagten Unfrieden säen will, war effektvoll, hat mich einen Moment mit nicht nur klammheimlicher Freude erfüllt, war aber, meine ich, falsch. In der AfD-Fraktion ticken alle wie Glaser, und man muß, auch das gebietet unser Grundgesetz, respektieren, daß im Bundestag nun Leute sitzen, die so ticken. Der Souverän unseres Landes wollte das so.

 

Nachtrag am 25.10.2017: Christoph Möllers, der Öffentliches Rechts an der Berliner Humboldt-Universität lehrt, kommentiert die konstituierende Sitzung des Deutschen Bundestages heute im Feuilleton der FAZ.. Er schreibt u.a.:  "Ob es weise ist, der AfD mit dem Amt des Alterspräsidenten und dem gewohnten Anspruch auf die Benennung eines Vizepräsidenten gleich zwei parlamentarische Ehren zu verweigern, erscheint sehr zweifelhaft. Für deren Wähler bleibt vom gestrigen Tag die Nachricht des neuen Bundestags an sie: Wir sind offen, aber ihr gehört nicht dazu." Klüger wäre es zweifellos gewesen, nicht kindische Symbolpolitik zu betreiben, sondern die Form zu wahren und der AfD bei der ersten sich bietenden Gelegenheit substanziell Paroli zu bieten.