Nicht nur interesseloses Wohlgefallen. Moritz Baßler und Heinz Drügh erklären die Gegenwartsästhetik

Wenn die Ästhetik die Lehre vom Schönen ist, was ist dann Gegenwartsästhetik? Die Lehre vom Schönen der Gegenwart? Oder ist sie die Lehre vom Schönen in der Gegenwart? Juliane Rebentisch hatte ein ähnliches Problem mit dem Kompositum Gegenwartskunst und löste es durch eine Festlegung: „Der volle normative Sinn des Begriffs Gegenwartskunst besteht darin, dass sie ihre historische Gegenwart gegenwärtig machen soll.“ Daraus folgt aber, wie sie sogleich bemerkt, daß man zur Bestimmung des historischen Orts der Gegenwart „die Gegenwart zur Vergangenheit in ein Verhältnis setzen“ muß.[1] Während Rebentisch daran Überlegungen zu Fortschritts- und Geschichtsmodellen knüpft, scheint mir etwas weitaus Banaleres viel wichtiger zu sein: Wenn eine gesellschaftliche Figuration der Gegenwart entstehen kann, kann sie auch vergehen, sich verändern oder verändert werden. Und womöglich erscheint einem, was gern als Höhe der Zeit gepriesen wird, sogar als veränderungsbedürftig, vielleicht, weil es schlechter ist, als das, was es schon gab, vielleicht auch, weil sich weitaus besseres denken läßt.

 

Ein kritisches Verhältnis zur Gegenwart, das auch Veränderungspotentiale oder gar Veränderungsnotwendigkeiten ausmachen könnte, interessiert Moritz Baßler und Heinz Drügh – zunächst – nicht. Sie nehmen die Gegenwart – wie gesagt: zunächst – so, wie sie ist, warum auch immer sie ist, wie sie ist. Und von diesem vermeintlich festen Standpunkt aus gerät dann in den Blick, was die Ästhetik dieser Gegenwart ausmacht. Was aber ist nun für sie Ästhetik? Um das zu erklären, ziehen sie nicht etwa einen gegenwärtigen Philosophen zu rate, sondern beziehen sich überraschender-, aber auch bezeichnenderweise auf Immanuel Kant, und sie rekapitulieren noch einmal kurz, wie Kant ästhetische Urteile etwa von moralischen oder Verstandesurteilen unterscheidet. Ästhetische Urteile sind, das macht für Kant ihre Besonderheit aus, ohne alles Interesse, weshalb für ihn das Wohlgefallen am bloß Angenehmen wie das am Guten ästhetisch irrelevant sind, denn beide sind mit Interessen verbunden. Urteile über das Schöne sollen es dagegen nicht sein, und daher werde, so Kant, im Urteilen über das Schöne etwas getan, was alle zumindest der Form nach gleichermaßen tun, und das ohne Nebenabsichten. Das ist für ihn die Basis, auf der sich für Urteile über das Schöne allgemeine Zustimmung erbitten läßt.

 

Geschmacksurteile kann man also anderen, so Kant, andienen, wobei man dann so tut, „als ob Schönheit eine Beschaffenheit des Gegenstands und das Urteil logisch (durch Begriffe vom Objekte eine Erkenntnis desselben ausmachend) wäre“.[2] Anders als bei Vernunftgründen kann man jedoch keine Zustimmungspflicht einfordern, denn Urteile über das Schöne sind nicht (nur) Urteile über die Beschaffenheit des Gegenstandes, sondern (auch) über die mit der Wahrnehmung des Gegenstands verbundenen Gefühle, und sie lassen sich (daher) auch nicht beweisen. Dieser Umstand ist für Baßler und Drügh wichtig, sobald es, wie etwa in ihrem Kapitel „Anthropozän“ um die künstlerische Auseinandersetzung mit einem politischen Thema wie dem des Klimawandels geht. Solche Themen können für sie nicht nur künstlerisch behandelt, sie sollen es sogar werden, aber sie dürfen dann „nicht durch Sachurteile vorentschieden“ sein (S. 253). Wären sie es, würde der spezifische Modus des Ästhetischen verlassen, in dem Zustimmung nicht erzwungen werden kann.

 

Sobald Geschmacksurteile Zustimmung durch andere erfahren, bilden sich schnell zwanglos Stilgemeinschaften. Daß in einer (auch) funktional ausdifferenzierten Gesellschaft wie der unsrigen, gleich eine Vielzahl solcher Stilgemeinschaften nebeneinander existieren, die sich sowohl voneinander abgrenzen als auch überschneiden können, entgeht Baßler und Drügh zwar keineswegs (sie widmen dem Umstand unter der Überschrift „Demokratisierung“ im zweiten Teil ihres Buchs sogar ein ganzes Kapitel), aber sie ziehen daraus nicht die Konsequenz, ihr Buch nicht nur der Gegenwartsästhetik, sondern Gegenwartsästhetiken zu widmen. Das begründen sie damit, daß Ambivalenz im Rahmen des Ästhetischen für sie „die produktivste Form“ der Auseinandersetzung bleibt, womit sie auch ihr Unbehagen darüber zum Ausdruck bringen, daß politische, ethische und identitäre Fragen („Darf man das sagen?“, „Wer darf was sagen?“) ästhetische Urteile in den letzten Jahren zunehmend überlagert haben. Daraus resultiert auch ihre Kritik an dem, was sie im Anschluß an Dwight Macdonald und Umberto Eco[3] als „neuen Midcult“ in der Literatur bezeichnen: ein kommensurables realistisches Erzählen, das sich nur durch das Aufgreifen von Themen mit großem politischem oder moralischem Gewicht als bedeutend geriert, es in seiner ästhetischen Verfahrensweise aber nicht ansatzweise ist.

 

So notwendig es gegenwärtig auch erscheint, die Besonderheit und das Eigenrecht des Ästhetischen (man könnte auch von seiner Autonomie sprechen), gegen politische oder moralische Okkupationen und Indienstnahmen zu verteidigen, so stecken in der Vorgehensweise von Baßler und Drügh doch einige Probleme.

 

Kants Ausgangspunkt vom Subjekt der ästhetischen Wahrnehmung ist etwa damit verbunden, die Wahrnehmung des Schönen und die Urteile über es vor allem an Beispielen aus der Natur zu erörtern. Die Gegenstände aller Überlegungen von Baßler und Drügh sind aber keine natürlichen, sondern artifizielle, von Menschen gemachte Gegenstände: Bilder, Filme, Romane, Installationen. Solche Gegenstände gehören, wie schon Adorno scharfsinnig bemerkt hat, einer „bereits […] konstituierten Welt“ an, die eine Geschichte hat und zur Sache dazu gehört, sich aber sinnlicher Wahrnehmung entzieht.[4] Daraus folgt aber, daß Ausgangspunkt ästhetischer Bestimmungen nicht das Subjekt der Wahrnehmung, sondern das Objekt im Kontext seiner historischen Konstellation sein sollte. Man könnte das Argument noch weiter zuspitzen, denn auch die Natur ist nicht einfach so da, sondern Ergebnis einer evolutionären Entwicklung und hat also auch eine Geschichte. Ihr gegenüberzutreten, als sei sie doch schlechthin vorfindlich und in bestimmten Erscheinungsformen schön, ist nicht minder naiv wie ein derartiger Umgang mit Werken der Kunst.

 

Baßler und Drügh bemerken sehr wohl, daß Kant sich „über die objektiven Eigenschaften des Schönen kaum“ auslasse (S. 73). Sie verteidigen dennoch ihren Ausgang von der wahrnehmenden Subjektivität, räumen jedoch ein, daß ästhetische Urteile in der Regel drei Komponenten eine Rolle spielen: erstens ein Sachanteil, zweitens die sprachlichen und gedanklichen Nuanciertheit des Urteils; und drittens ihre Orientierung auf andere (vgl. S. 60 f.). Über die Beachtung des „Sachanteils“ wird sodann dann manches in Baßlers und Drüghs Gegenwartsästhetik hineingeholt, was prominente Kritiker Kants, allen voran Hegel, an Kant bemängelt haben: das Absehen von der Objektivität des Gegenstands beim Urteilen über das Schöne. Das geht aber wiederum nicht soweit, daß Baßler und Drügh begännen, wie Hegel oder Adorno emphatische Wahrheitsansprüche an ihre Urteile über Schönes zu knüpfen.

 

Warum aber glaubte zum Beispiel Adorno, sie erheben zu dürfen? „Das Kunstwerk“, erläuterte er am 11. November 1958 den Zuhörern seiner Vorlesung zur Ästhetik, „wird ja zu einem Objektiven gerade dadurch, daß es dem Künstler sich als ein Selbständiges und in sich Organisiertes entgegensetzt.“[5] „Und Geist“, erklärte er ihnen zwei Monate später, „gibt es im Kunstwerk als geistigen Gehalt, als Verbindliches nur insofern, als er objektiv, ohne jede Rücksicht auf den Produzierenden, durch das Kunstwerk selbst zwingend sich darstellt – man kann wohl sagen: insofern als er vom Kunstwerk verwirklicht wird.“[6] Was das konkret bedeutet, hat Adorno vielleicht nirgends plastischer als in seinen Kranichsteiner Vorlesungen über Neue Musik[7] am Übergang von der spätromantischen zur seriellen Musik erläutert: Die Mittel spätromantischer musikalischer Ausdrucksformen hätten sich nicht nur erschöpft, sondern in ihnen selbst zeichneten sich bereits Formen der Serialität ab, die Arnold Schönberg mit seiner Zwölftontechnik dann nur als einer der ersten zum konsequenten Ausgangspunkt einer systematisch seriellen Organisation des musikalischen Materials gemacht habe.

 

Wie sich derlei Entwicklung im Bereich der Literatur beobachten läßt, wurde analog – mit ausdrücklicher Reverenz an Adorno – von Peter Szondi in seiner „Theorie des modernen Dramas“[8] gezeigt: Sobald mit dem Naturalismus die Lebenswelt von Arbeitern auf dem Theater thematisiert werde, wird es sinnlos, vom Drama noch einen Konflikt zwischen Individuen im Medium des Dialogs zu erwarten. Denn was die Probleme eines Arbeiters, etwa eines Webers in der Textilindustrie Mitte des 19. Jahrhunderts, ausmache, seien ja gar nicht mehr individuelle Probleme, sondern Probleme eines Standes bzw. einer Klasse, deren von ihnen unbegriffene Ursachen sich auch nicht mehr zeigen, sondern nur analysieren lassen. Im Rahmen der traditionellen dramatischen Form, die sich vor allem im Medium des zwischenmenschlichen Dialogs realisiere, sei das indes unmöglich. Es zeige sich mithin schon im Naturalismus eine Tendenz zum Epischen, die schließlich unter anderem im Epischen Theater Bertolt Brechts die traditionelle dramatische Form hinter sich lasse, indem ein Vorgang nicht mehr mit naturalistischer Anmutung verkörpert, sondern mit dem bewußten und bewußt gemachten Gestus des Vorführens gezeigt werde.

 

Für das Verständnis solcher Entwicklungen in der Musik bzw. im Drama ist weder die Psychologie des Künstlers noch die Wahrnehmung von Kunstrezipienten von Belang. Solche Entwicklungen liegen gleichsam in der Luft, ähnlich wie es Hans Blumenberg für die kopernikanische Wende, also die Abkehr von einem geozentrischen Weltbild, beschrieben hat.[9] Das ist der Grund, warum sowohl Hegel als auch nach ihm Adorno zum Ausgangspunkt ästhetischer Bestimmungen nicht die Kunstwahrnehmung, sondern das Kunstwerk in seinen historischen Bezügen nehmen. Da Baßler und Drügh es anders halten, sind sie nicht in der Lage, analoge Entwicklungsprozesse in der Gegenwart verständlich zu machen. Das wird schon sinnfällig bei ihrer Analyse von Leif Randts Roman „Allegro Pastell“, dem sie in ihrem Buch mehr Raum widmen als jedem anderen Gegenstand der Gegenwartskultur.

 

Fasziniert konstatieren sie, daß alle Handlungen, die die Protagonisten dieses Romans vollziehen, von einem „ästhetischen Urteil“ dominiert werden, weil die entscheidende Frage immer sei: „Welches ‚Bild‘ gibt man ab, wenn man das tut“, was man gerade tut? (S. 62) Indem aber diese Frage in den Mittelpunkt rücke, gelinge es, „Codes des Gegenwärtigen […] ebenso emotional nachvollziehbar wie intellektuell reflektierbar zu machen […].“ (S. 64) Aufschlußreich sei dabei vor allem, daß Randt ein „Milieu vorführt, in dem sich Apolitisches problemlos mit dem ‚richtigen‘ ökologischen Denken verbindet und selbst Themen wie Nachhaltigkeit oder Diagnosen über das Anthropozän in Verbindung mit einer Stilkomponente prozessiert werden.“ (S. 245)

 

In der Tat wird im Darstellen einer „Mischwirklichkeit“ aus ganz heterogenen Feldern, die in Randts Roman beim Wahrnehmen, Handeln und Reflektieren sowohl seiner Protogonisten auch seiner Erzählinstanz mit dem Primat der Bewertung ihrer Stilqualitäten amalgamiert werden, die Bewußtseinslage eines bestimmten Milieus der Gegenwart beobachtbar gemacht. Bewußtsein beobachtbar zu machen, ist ja überhaupt eine Errungenschaft des Romans (die ihn vom Epos unterscheidet), wofür paradigmatisch Goethes „Die Leiden des jungen Werther“ als parodistische Darstellung des Bewußtseins eines empfindsamen Charakters einstehen kann. Sollte sich das Interesse einer Gegenwartsästhetik aber nicht über die berechtigte Würdigung der gelungenen Darstellung eines spezifischen, milieugebundenen Phänomens hinaus auch mit den Bedingungen seiner Möglichkeit auseinandersetzen?

 

Dafür böten die Analysen des Soziologen Andreas Reckwitz, den Baßler und Drügh nur einmal beiläufig erwähnen (S. 20), Befunde bereit, die sich für ihre Lektüre des Romans "Allegro Pastell" hätten nutzbar machen lassen. Folgt man nämlich den Überlegungen von Reckwitz in seiner Untersuchung „Die Gesellschaft der Singularitäten“,[10] dann hat ein gesellschaftlicher Strukturwandel stattgefunden, durch den die standardisierte (fordistische) Massenproduktion zunehmend gegenüber der Produktion dessen, was Reckwitz „Singularitäten“ nennt, in den Hintergrund getreten sei. Für Singularitätsgüter sei nicht mehr ihre Funktionalität entscheidend, sondern daß ihnen ein „kultureller Wert“ oder eine „kulturelle Qualität“ zugesprochen werde, die sie attraktiv mache. Dieses Phänomen habe es zwar schon immer gegeben, es werde in der Ökonomie der Spätmoderne aber in vielen Bereichen von einer Begleiterscheinung zum dominanten Merkmal. Das sei bemerkbar sowohl bei der Produktion dieser Güter als auch bei der Wertschöpfung. Denn um etwa einen Markenturnschuh im Hochpreissegment herzustellen und erfolgreich zu verkaufen, könne man die reinen Produktionskosten schon fast vernachlässigen. Hergestellt und verkauft werde in erster Linie ein Image. Und mit der Herstellung von Images und ihrer Etablierung seien immer größere Bereiche der Wirtschaft beschäftigt. Dabei bildeten diejenigen, die mit der Konzeption und Vermarktung von Singularitätsgütern befaßt seien, eine neue, ganz überwiegend urbane Mittelschicht, die eine „singularistische Lebensführung“ kennzeichne. Diese Mittelschicht lasse sich einerseits unterscheiden von der alten Mittelschicht, die zwar in wirtschaftlich gesicherten Verhältnissen lebe, gegenüber der singularistischen Kulturalisierung der Lebenswelt aber distanziert bleibe, sowie andererseits von einer neuen Unterschicht, die entweder in prekären Beschäftigungsverhältnissen des Dienstleistungsbereichs perspektivlos ihr Auskommen finden müsse oder durch eine Grundsicherung alimentiert werde. „Die spätmoderne Gesellschaft“, so Reckwitz zusammenfassend in seinem Buch „Das Ende der Illusionen“,[11] „ist keine Gemeinschaft, kein homogenes Kollektiv und wird es auch niemals sein. Sie ist in Lebensstilen pluralisiert, in Klassen stratifiziert und multiethnisch.“ (S. 290) Für den dominanten und daher weithin als erstrebenswert geltenden Lebensstil der neuen Mittelschicht sei indes charakteristisch, daß mit ihm ein Subjektideal ausgebildet werde, bei dem sich der gesellschaftliche Status daraus ergibt, wie erfolgreich man seine eigene Singularität sichtbar machen kann.

 

Eine „singularistische Lebensführung“ eines bestimmten Milieus, die Leif Randt in seinem Roman „Allegro Pastell“ zeigt, ist also Resultat einer historischen Entwicklung, die der Roman selbst nicht in den Blick nimmt. Seine Anlage gestattet es auch nicht, sie in den Blick zu nehmen, weil er lediglich die Bewußtseinslage des Milieus zeigt, das diese Entwicklung hervorgebracht hat. Das ist literarisch auch völlig legitim. Um sich gegenüber einer solchen Milieudarstellung als Gegenwartsästhetiker jedoch nicht nur affirmativ zu verhalten, wäre erforderlich, auch die gesellschaftlichen und ästhetischen Entwicklungen in den Blick zu nehmen, die Voraussetzung eines solchen Erzählens eines solchen Stoffes sind. Das geht aber nicht, wenn man mit Kant die subjektive Wahrnehmung zum Ausgangspunkt nimmt und Prätentionen etwa Hegels und Adornos zurückweist, das Urteil über ästhetische Gegenstände mit Wahrheitsansprüchen zu verbinden. Denn so richtig und aufschlußreich die partikulare Milieudarstellung in Leif Randts Roman auch ist, sie zeigt doch zweifellos keineswegs, was man mit Adorno ein „richtiges Leben“ nennen könnte.

 

Das spricht deshalb nicht gegen den Roman, weil sich war die Erzählinstanz zwar einerseits, wie Baßler und Drügh zutreffend konstatieren, „in ihrer Begrifflichkeit und ihren Wertungskategorien von den Figuren anstecken läßt“ (S. 63), man andererseits aber „eine mittlere, halbironische Distanz“ (S. 69) ausmachen kann, so daß sich der Roman daher genauso als Ausdruck von Ideologiekritik wie als Affirmation falschen Bewußtseins lesen läßt. Beides würde indes, machte man es jeweils ausschließlich, den nicht aufhebbaren ambivalenten Charakter des Textes übersehen, den Baßler und Drügh betonen.

 

Sie verteidigen allerdings auch über den besonderen Anwendungsfall hinaus grundsätzlich einen ästhetischen Gestus, der die Welt nicht mehr deuten will, der nicht mehr „meint, man könne ihr gegenüber einen Blick von außen einnehmen“ (S. 137). Angesichts der, wie sie Hegel in seinen „Vorlesungen über die Ästhetik“ nennt, „gegenwärtige[n] prosaische[n] Zustände“[12] erscheint es dagegen durchaus angebracht, (auch) Ideologiekritik (wieder) zu mobilisieren, zumindest dann, wenn man sich diesen Verhältnissen und ihren diversen auf bloßer „sinnlicher Gewißheit“[13] beruhenden Erlebnissen, die dann mit dem Anspruch auf „Authentizität“ in Gedichten, Erzählungen oder Romanen kolportiert werden, nicht nur kontemplativ überlassen will. Mit ihren Anmerkungen zum „Neuen Midcult“ haben Baßler und Drügh immerhin einen Anfang damit gemacht, als Gegenwartsästhetiker manches in der Gegenwartskultur nicht mehr kritiklos hinzunehmen.[14]

 

Moritz Baßler / Heinz Drügh: Gegenwartsästhetik. Göttingen: Konstanz University Press 2021. 307 Seiten. 28 Euro.

 

[1] Juliane Rebentisch: Theorien der Gegenwartskunst. Hamburg 2013, S. 13.

[2] Immanuel Kant: Kritik der Urteilskraft, § 6.

[3] Vgl. Umberto Eco: Massenkultur und „Kultur-Niveaus“. In: Ders.: Apokalyptiker und Integrierte. Zur kritischen Kritik der Massenkultur. Frankfurt am Main 1984, S. 37-58.

[4] Vgl. Theodor W. Adorno: Ästhetik (1958/59). Hrsg. von Eberhard Ortland. Frankfurt am Main 2009, S. 320.

[5] Ebd., S. 23.

[6] Ebd., S. 216.

[7] Theodor W. Adorno: Kranichsteiner Vorlesungen. Hrsg. von Klaus Reichert und Michael Schwarz. Berlin 2014.

[8] In: Peter Szondi: Schriften I. Frankfurt am Main 1978, S. 9-148.

[9] Vgl. Hans Blumenberg: Die Genesis der kopernikanischen Welt. Frankfurt am Main 1975.

[10] Berlin 2017.

[11] Berlin 2019.

[12] G.W.F. Hegel: Vorlesungen über die Ästhetik, Bd. 1. Hrsg. von Eva Moldenhauer und Karl Markus Michel. Frankfurt am Main 1970 (Theorie Werkausgabe, Bd. 13), S. 253.

[13] Vgl. G.W.F. Hegel: Die sinnliche Gewißheit oder das Diese und das Meinen. In: Ders.: Phänomenologie des Geistes. Hrsg. von Eva Moldenhauer und Karl Markus Michel. Frankfurt am Main 1970 (Theorie Werkausgabe, Bd. 3), S. 82-92.

[14] Vgl. dazu auch Moritz Baßler: Der Neue Midcult. In: Pop. Kultur und Kritik, H. 18 (Frühling 2021), S. 132-149 (https://pop-zeitschrift.de/2021/06/28/der-neue-midcultautorvon-moritz-bassler-autordatum28-6-2021-datum/?fbclid=IwAR0fgsLKVPe34CP_AUtDD13lDvkYccgWLMN1LjwyB6yL2Qk9D078k0ftm58).